
Viele Ortschaften im Günztal wurden vom Hochwasser extrem getroffen – Wasserwirtschaftsamt Kempten spricht von HQ 1000 Jahrtausendhochwasser
Florian Röger vom SHK-Betrieb Röger GmbH in Günzburg kann sich nicht erinnern, jemals ein annähernd vergleichbares Hochwasser erlebt zu haben. Die Firma nennt sich auch „Meister der Elemente“. Anfang Juni war aber das Element Wasser der Meister. Es stand in der Spenglerei und im Lager des Unternehmens bei 1,80 Metern im Erdgeschoss. EDV-Anlage und Archiv, die glücklicherweise im 1. Stock untergebracht sind, blieben verschont. Der Schaden liegt trotzdem bei schätzungsweise 300 bis 400 Tausend Euro.
„Wir hatten hier bei uns in der Firma schon mal das Wasser stehen. Aber bei maximal 10 bis 15 Zentimetern und nicht bei einem Meter achtzig. Da konnte man einfach ein paar Sachen auf die Tische stellen und der Schaden war vernachlässigbar klein“, sagt Florian Röger. Die Günz hatte Anfang Juni große Teile von Günzburg unter Wasser gesetzt. Nur 100 bis 150 Meter vom Betrieb Rögers entfernt mündet sie in die Donau. Das Wasser kam rasend schnell und mit einer gewaltigen Wucht. „Wir konnten nicht mehr viel machen und sind dann ziemlich schnell evakuiert worden“, so Röger.
Keine Elementarschadenversicherung
Die Röger GmbH wird wohl bedauerlicherweise auf einem Großteil des Schadens sitzenbleiben, denn eine Elementarschadenversicherung gibt es nicht. „Wir hätten zwar eine solche Versicherung abschließen können, aber zu einem horrend hohen Preis. Deswegen haben wir das nicht gemacht“, sagt Röger. „Und was das Inventar angeht: Da greift die Elementarversicherung sowieso nicht.“ Der Unternehmer ist auf Soforthilfe angewiesen und wartet derzeit auf den Gutachter für sein Gebäude, der sich für Mitte Juli angekündigt hat. Einen Gutachter für die Ausstattung der Firma konnte Röger bis Anfang Juli nicht finden. Ohne Gutachten kann aber kein Soforthilfe-Antrag gestellt werden.
Obwohl seine Firma durch das Hochwasser hart getroffen wurde, ist Röger derzeit im Dauereinsatz für Kunden, die ebenfalls von der Naturkatastrophe erwischt wurden. Er versucht, so schnell und so viele Heizungen wie möglich wieder in Stand zu setzen. Oft dauere es aber, denn die Kunden müssten sich mit ihren Versicherungen auseinandersetzen und warten, bis sie aktiv werden können. Vor allem, wenn Heizungen ausgelaufen seien, ziehe sich die Reparatur lange hin: „In so einem Fall muss im Prinzip der ganze Keller entkernt werden, der Estrich muss raus und es muss alles trocknen, was schon mal vier Wochen dauert. Also zwei Monate gehen da auf jeden Fall ins Land.“
„Es muss ja weitergehen“
Viele seiner Kunden, so Röger, seien schon etwas angeschlagen, weil die Folgen der Katastrophe, die Aufräumarbeiten, die Instandsetzung und der Aufwand für die Schadensregelung ihnen die Kraft raubten. Trotzdem versuchten alle, sich irgendwie wieder hochzuziehen und weiterzumachen. Röger: „Es muss ja weitergehen. Und wir versuchen unseren Teil zu leisten und den Menschen zu helfen.“
Die vielen Aufträge sind für Florian Röger zumindest ein kleiner Trost angesichts der fehlenden Versicherung. Auf die Frage nach einer Pflichtversicherung bei Hochwasser gibt er sich vorsichtig: „Das kann schon sinnvoll sein. Aber das Kleingedruckte bei Versicherungen ist halt immer ein schwieriges Thema.“ Röger fordert eher mehr Anstrengungen beim Thema Hochwasserschutz: „Das Wetter wird ja immer extremer und die Niederschläge immer mehr. Wir müssen uns dagegen wappnen. Aber jetzt hoffe ich erstmal, dass es das für eine Weile war und nicht bald wieder das nächste Extremwetter kommt.“
Fische schwammen in der Halle
Stephanie Schrapp von der Firma „Holzhausliebe“ aus Kettershausen bei Babenhausen hat glücklicherweise eine Elementarversicherung. Der Schaden ist momentan nicht abschätzbar. Die Abbundbank, zwei Stapler und viele andere Maschinen hat es erwischt. Ob der Autokran noch funktioniere, muss noch geprüft werden. Die Büros habe es mit am schlimmsten erwischt, die Computer seien alle kaputt.
„Wir kämpfen uns gerade durch. Wir haben in den Hallen die Wände aufgemacht, überall lief Wasser raus. Ein Chemiker war schon da für eine Untersuchung und hat Öl festgestellt, dabei haben wir gar keine Ölheizung oder dergleichen. Das muss wohl von irgendeinem Nachbarn zu uns reingelaufen sein. Oder es kam von Babenhausen. Vielleicht wurde dort unkontrolliert Öl in die Günz geleitet“, sagt Stephanie Schrapp. Bei 50 Zentimetern stand das Wasser in den Hallen und den Büros. Zeitweise wurde die Firma gewissermaßen zum Aquarium: „Wir hatten Fische in der Halle. Etwas oberhalb an der Günz ist eine Karpfenzucht und viele der Tiere hat es zu uns in die Hallen geschwemmt, weil wir die Tore auf Anraten der Feuerwehr geöffnet haben, sonst wären sie wohl eingedrückt worden.“ Bei der Geschichte mit den Fischen muss Schrapp auch ein wenig lachen.
Zumindest, was ihre Mitarbeitenden angeht hat Stephanie Schrapp Glück. Sie konnten im zweiten Sitz der Firma in Illertissen untergebracht werden. Allerdings reichten die Kapazitäten nicht aus, alles verschiebe sich, Aufträge würden erst mit deutlicher Verspätung fertig.
Auch in Kettershausen sagen alle, dass sie so etwas noch nicht erlebt hätten. Und auch hier sind nach wie vor alle am Aufräumen und in der Abklärung mit ihren Versicherungen. Und es dauert, bis Geld fließt, auch wenn es manchmal einen anderen Anschein macht. Bereits am Freitag nach der Flut sei ein Gutachter von der Versicherung da gewesen, um sich die Schäden am Gebäude anzusehen. Schrapp: „Der hat dann gesagt, die Versicherung würde gleich mal das erste Geld schicken. Noch bevor alles entsprechend aufgenommen ist. Bis heute ist aber nichts gekommen.“
Ärger mit Versicherung
Stephanie Schrapp muss sich nicht nur darüber ärgern: „Für das Inventar kam dann ein zweiter Gutachter aus Frankfurt, der sich unsere Schränke im Büro angesehen hat, wo der Schimmel drin ist. Er hat gesagt, darum könne sich eine Spezialfirma kümmern, mit UV-Behandlung und so weiter. Die Schränke sind aber fest eingebaut und verleimt und schimmeln weiter vor sich hin, bis da mal eine Firma kommt.“ Trotzdem habe sie die Anweisung bekommen, erstmal nichts zu unternehmen, bis ein weiterer Gutachter, ein Schreiner-Gutachter sich das angesehen habe. Und so geht das Warten und Hinterhertelefonieren – bis Ende Juni bereits 15- bis 20-mal – weiter. Aber Stephanie Schrapp gibt sich optimistisch und kämpferisch: „Wir sind wie kleine Pitbulls. Wir beißen uns fest.“
Schrapp ist dennoch überzeugt, dass ihr durch den Schaden von der Versicherung danach gleich wieder gekündigt wird: „Wir haben schon nachgefragt bei der Versicherung und da hieß es: Keiner fliegt raus. Aber das glaube ich nicht.“
Bei der Frage nach den Ursachen für diese extreme Katastrophe kann Stephanie Schrapp eine Reihe von Faktoren aufzählen, die verantwortlich dafür seien, wie Flussbegradigungen oder Flächenversiegelung. Daneben auch die Tatsache, dass immer öfter in Gebiete gebaut werde, die eigentlich klassische Schwemmgebiete seien, weswegen Schrapp eine Pflichtversicherung gegen Hochwasser kritisch sieht: „Wieso sollen andere mitzahlen, wenn Leute quasi direkt ins Hochwasser bauen?“ Aber auch der Klimawandel spielt aus Schrapps Sicht eine große Rolle: „Das ist für uns im Holzhausbau ja auch ein großes Thema. Keiner kann das mehr abstreiten, dass der Klimawandel dieses extreme Wetter verursacht. Mit unserer ökologischen Bauweise wollen wir einen Beitrag zur Klimawende leisten.“ Bis dahin helfe nur passender Hochwasserschutz.
Ereignis immer noch unfassbar
Dass es mit dem Hochwasserschutz schnell vorangeht, dafür setzt sich auch Markus Koneberg, Bürgermeister der Gemeinde Kettershausen, ein. Für ihn, wie auch alle anderen Menschen in Kettershausen, ist es immer noch nicht exakt nachvollziehbar, wie es zu den starken Überschwemmungen in Kettershausen kam. Ob es tatsächlich allein die Günz war oder einige der kleineren Bäche und Gewässer, müsse erst noch analysiert werden. Wie schnell und gewaltig sich das Wasser seinen Weg bahnte, ist aber auch für ihn immer noch unfassbar.
„Wir hatten ja 2002 ein großes Hochwasser und haben gedacht, dass wir von den Erfahrungen von damals profitieren können. Aber an dem betreffenden Samstag kam ab 13 Uhr plötzlich so viel Wasser, dass wir mehr oder weniger machtlos waren. Innerhalb von einer halben Stunde gingen die Pegel komplett hoch. Wir hatten sogar in Bereichen Hochwasser, wo es sonst nie welches gab“, berichtet Koneberg.
Die Gemeinde Kettershausen mit ihren 1900 Einwohnern zahlt jedes Jahr eine Rate von 110.000 Euro für den Hochwasserschutz an das Wasserwirtschaftsamt Kempten. Insgesamt werden es am Ende 1,3 Millionen Euro sein. Das Geld ist zu einem großen Teil für den Bau von Hochwasserrückhaltebecken an der Günz. Insgesamt fünf Rückhaltebecken sollen es am Schluss sein, zwei davon sind bereits fertig, eines kurz vor Ottobeuren und das andere bei Markt Rettenbach. Das bei Ottobeuren war am Hochwasserwochenende zu 95 Prozent voll, das bei Markt Rettenbach zu drei Vierteln. Die weiteren drei Becken sollen bei Frechenrieden, Sontheim und Westerheim entstehen.
Rückhaltebecken im Günztal
Für den Hochwasserschutz im Günztal wurden in den letzten Jahren 40 Millionen Euro investiert, 75 Millionen werden es bis zum Abschluss der Projekte bis spätestens 2030 sein. Das Wasserwirtschaftsamt (WWA) in Kempten analysiert dabei auch die Schwachstellen beim Thema Hochwasser in der jeweiligen Gemeinde. Karl Schindele, Leiter des WWA Kempten: „Die Rückhaltebecken können nicht beliebig groß gebaut werden, deswegen berechnen wir anhand von hydraulischen Modellen am Computer, wo noch zusätzliche Maßnahmen erforderlich sind.“
Beim Hochwasserschutz orientiere man sich an den statistischen Auswertungen der bisherigen Pegelmessungen und rechne für die nächsten 50 Jahre nochmals 15 Prozent drauf, so Schindele. Dass das angesichts der jüngsten dramatischen Ereignisse oft nicht mehr ausreichen könnte, räumt auch er ein: „Aber die Dimensionen an Hochwasserschutz, die es da bräuchte, sind finanziell nicht machbar. Und ein Restrisiko wird immer bleiben. Wir müssen – vor allem im Neubau von Häusern – die Objekte besser planen und schützen. Und wir müssen über andere, hochwasserangepasste Bauweisen nachdenken.“
Analyse läuft noch
Flutpolder seien im Bereich der Günz, anders als an Donau und Iller, schwer möglich und aus Schindeles Sicht auch nur die allerletzte Möglichkeit. Anhand der Daten des Deutschen Wetterdiensts will das Wasserwirtschaftsamt jetzt analysieren und nachvollziehen, wie es in einzelnen Bereichen zu den extremen Hochwasserereignissen gekommen ist. Aber eines ist für Schindele klar: „Bei dem extremen Hochwasser in Kettershausen oder auch Babenhausen sprechen wir vermutlich über ein HQ 1000, also ein Jahrtausendhochwasser.“
Trotzdem ist die Firma für ihre Kunden verstärkt im Einsatz, um Heizungen wieder ins Laufen zu bekommen.